Geschichte Sardiniens

Nuraghe

Überall findet man Relikte der Vergangenheit

Die Geschichte Sardiniens ist gleichzeitig die Geschichte von verschiedenen Eroberern und Kolonialmächten, die sich gegenseitig ablösten und die Insel ausbeuteten. Richtig selbstständig waren die Sarden eigentlich nur in ihrer Frühgeschichte.
Zuerst kamen die Phönizier, später die Karthager (Punier), Römer, Byzantiner, Araber, Pisaner, Genuesen, Spanier, Piemontesen und zuletzt die Italiener.
Sardinien ist seit 1948 eine autonome Region Italiens mit weitgehenden Rechten zur Selbstverwaltung. Richtig zu Italien gehörend findet sich die sardische Bevölkerung bis heute nicht – dazu sind die eigene Kultur und Tradition zu eigenständig und tief verwurzelt.
Wer einen Ausflug in die Bergdörfer macht, wird die autarke und traditionelle Lebensweise der Einheimischen erleben und spüren, dass Sardinien völlig anders als Italien ist.

Auf der ganzen Insel sind Sehenswürdigkeiten der vergangenen Epochen erhalten und geben ein lebendiges Bild von deren wechselhaften und oft tragischen Geschichte.

Die Frühgeschichte

Li Muri

Grabanlage Li Muri

Wann die Besiedlung Sardiniens begann, ist bisher noch nicht genau geklärt. Die ältesten Funde von Steinwerkzeugen werden auf ein Alter von ca. 150.000 Jahren geschätzt. Vermutlich kamen die ersten Menschen über eine damals bestehende Landbrücke zwischen dem Festland, Elba, Korsika und Sardinien.

Etwa vor 7000 Jahren begann man mit der Herstellung von Keramik.
An den Hängen des erloschenen Vulkans Monte Arci bei Oristano fand man Obsidian, ein schwarzes, hartes, glasartiges Gestein. Daraus wurden Werkzeuge und Waffen hergestellt. Diese müssen damals begehrte Exportartikel gewesen sein, denn Produkte aus sardischem Obsidian wurden auch in Italien, Frankreich und Korsika gefunden.

Die Menschen betrieben damals bereits Ackerbau und Viehzucht. Für ihre Verstorbenen schufen sie Grabanlagen in Felswänden – die sogenannten “Domus de Janas”.

Erhalten sind aus dieser Zeit u.a. die Grabanlagen “Anghelu Riu” bei Alghero und “Li Muri” bei Arzachena.

Die Nuragher (1800 – 500 v. Chr.)

Nuraghe Succuronis

Nuraghe Succuronis

Von diesem geheimnisvollen Volk ist bisher nur sehr wenig bekannt. Umstritten ist auch, ob es einwanderte oder ob es sich aus der damaligen sardischen Bevölkerung entwickelte. Sicher ist, dass es sich um Hirtenstämme handelte.

Ihren Namen erhielt diese Megalithkultur nach ihren berühmtesten Bauwerken – den Nuraghen.
Diese gewaltigen Steintürme, die es nur auf Sardinien gibt, haben meterdicke Wände aus grob aufgeschichteten Steinblöcken. Nur ein schmaler Gang führt hinein und Schießscharten sind die einzigen Öffnungen nach außen.
Nach dem heutigen Stand der Geschichtsforschung dienten die Nuraghen nicht so sehr der Verteidigung gegen fremde Eroberer sondern eher der Abwehr feindlich gesinnter Nachbarn.

In der Endphase dieser Kultur wurden viele Einzeltürme zu festungsartigen Komplexen erweitert. Weitere Bauwerke der Nuragher sind die Gigantengräber “Tombe dei Giganti” und die Brunnentempel.

Auf der ganzen Insel sind Überreste von etwa 7000 Nuraghen verteilt. Die größte Nuraghenfestung ist “Su Nuraxi” bei Barumini. Sehenswert sind aber auch “Arrubiu”,“Santu Antine”, “Palmavera” bei Alghero und “Albucciu” bei Arzachena, wo sich auch die Gigantengräber “Coddu Vecchiu” und “Li Lolghi” befinden.
Bei Olbia können Sie den Brunnentempel “Sa Testa” besuchen. Weitere berühmte Brunnentempel sind “Santa Cristina”, “Santa Vittoria” und “Su Tempiesu”.

Phönizier und Punier (ca. 1000 – 238 v. Chr.)

Etwa um 1000 v. Chr. gründeten die Phönizier erste Handelsniederlassungen und später auch Städte im Süden Sardiniens. Als sie dann die Silber‑, Kupfer und Eisenvorkommen entdeckten, kam es zu kriegerischen Auseinandersetzungen mit den Nuraghern, die daraufhin aus vielen Küstenregionen vertrieben wurden.

Aus einer phönizischen Kolonie entwickelten sich die Karthager, die von den Römern Punier genannt wurden.
Um 550 v. Chr. begannen die Punier auf Sardinien nach und nach alle Niederlassungen der Phönizier in Besitz zu nehmen. Damit besiegelten sie den Untergang der Nuragher, die sich in die Berge zurückzogen und dort nur noch als einfache Hirten lebten.

Die Hirtenstämme griffen wiederholt die Küstengegenden an, um sich dort alles zu holen, was sie in den Bergen nicht selbst produzieren konnten. Die Praktik dieser Raubzüge, sogenannte “bardanas”, blieb über verschiedene Besatzungsmächte hinweg bestehen. Die letzte bardana fand 1894 statt, als die Männer von Orgosolo den Ort Tortoli überfielen.

Die Küstenebenen wurden von den Puniern intensiv landwirtschaftlich genutzt und der Bergbau wurde vorangetrieben.
Als “Mitbringsel” schleppten sie die Malaria ein. Diese heimtückische Krankheit konnte erst Mitte des 20. Jahrhunderts von der Insel verbannt werden.

Von den Ansiedlungen der Phönizier und Punier sind u. a. die Ruinen von Tharros bei Oristano und Nora bei Pula erhalten.

Die Römer (238 v. Chr. – 476 n. Chr.)

antike Römerbrücke bei Fertilia

antike Römerbrücke bei Fertilia

Im Verlauf der punischen Kriege besetzten die Römer Sardinien und begannen die Insel mit Straßen, Städten und Wasserleitungen zu erschließen.

Dabei kam es zu Konflikten mit den im Landesinneren lebenden Hirten, die immer wieder bewaffneten Widerstand leisteten.
Das “Barbarenland” – die heutige Barbagia – wurde zum Rückzugsgebiet der “sardi pelliti” (“Fellsarden”), wie sie von den Römern genannt wurden.
Obwohl Sardinien für ca. 650 Jahre römische Provinz blieb, gelang es den Legionen nicht, die Insel vollständig zu unterwerfen.
Fast 100.000 Sarden wurden verschleppt und versklavt. Im Gegenzug wurde Sardinen ein berüchtigter Verbannungsort für Juden und Christen. Die spätere Christenverfolgung brachte zahlreiche Märtyrer hervor, die heute als Heilige verehrt werden.

Da die Römer vielfach die Städte der Punier ausbauten, gibt es kaum rein römische Sehenswürdigkeiten. Bei Sant’Antioco, Ittireddu und Porto Torres sind noch Ruinen von römischen Brücken erhalten und bei Olbia die spärlichen Überreste eines Aquäduktes.
Sehenswert sind die Ruinen der römischen Thermen in Fordongianus und Porto Torres.

Das Mittelalter (500 – 1000)

Dattelpalmen

Die Araber brachten die Dattelpalme nach Sardinien

Nach dem Zerfall des Römischen Reiches ließen sich zunächst die Vandalen an den Küsten nieder. Sie wurden im Jahr 534 von den Byzantinern vertrieben, als Sardinien dem römischen Ostreich angeschlossen wurde. Die Byzantiner beuteten die Insel und deren Bewohner rücksichtslos aus und begannen mit der Christianisierung der Bevölkerung.

Im 8. Jahrhundert kamen die Araber – von den Byzantinern Sarazenen genannt – um die Küstengegenden zu plündern. Die Einwohner verließen die Orte an den Küsten und flüchteten ins Landesinnere, wo neue Städte wie Sassari und Oristano entstanden.

Mit der fortschreitenden Entvölkerung des Küstenregionen entstanden im Landesinneren zunehmend politisch autarke Strukturen.
Byzanz war zu schwach, die Insel wirksam zu verteidigen. Während die Sarazenen die Küsten beherrschten, wurde das Innere der Insel in vier sogenannte Judikate aufgeteilt, denen jeweils ein Feudalherr als “Richter” vorstand.
Mit der Zeit gingen die Richterämter auf die Sarden über. Anfangs wurden die Richter frei gewählt, später wurde das Amt erblich.

Aus dem Latein des Mittelalters entstand die sardische Sprache.

Außer der Sprache und einzelnen Elementen in der Volkskunst ist aus dieser Epoche kaum noch etwas erhalten geblieben.

Pisaner und Genuesen (1015 – 1300)

Um 1015 hatte Kalif Mughabid den Südteil der Insel erobert. Papst Benedikt VIII. wollte eine vollständige Besetzung der Insel verhindern und bat die Stadtstaaten Pisa und Genua um Hilfe. Nach ihrem Sieg teilten sie Sardinien unter sich auf – Pisa beherrschte fortan den Süden, Genua den Norden.

Beide Stadtstaaten verfolgten in erster Linie ihre eigenen Interessen und beuteten die Insel weiter aus. Wälder wurden abgeholzt und Bergwerke wieder in Betrieb genommen. Trotz allem brachte diese Zeit einen wirtschaftlichen und kulturellen Aufschwung. Städte wurden gegründet, Ländereien urbar gemacht und Kastelle errichtet. Mönchsorden kamen auf die Insel, Kirchen und Klöster wurden gebaut.
Von den vier Judikaten konnte sich nur Arborea behaupten, das erst 1410 aufgelöst wurde.

Auf der ganzen Insel sind Kastelle und Kirchen aus dieser Zeit erhalten.

Die Spanier (1297 – 1718)

Torre di San Giovanni

Spanischer Sarazenenturm

Jakob II. von Aragon erhielt 1297 das Lehen über Sardinien.
Die Genuesen unterwarfen sich und die Pisaner wurden vertrieben.
Die neuen Herrscher errichteten ein Feudalsystem – das grausamste Regime der sardischen Geschichte.

Die Städte Cagliari und Alghero durften von Sarden nachts nicht mehr betreten werden. Alghero erhielt bald eine rein katalanische Einwohnerschaft.
Pest, Malaria, Hungersnöte und sarazenische Piraten wüteten unter der Bevölkerung.

Zum Schutz gegen Piratenüberfälle wurden entlang der Küste die spanischen Sarazenentürme gebaut, von denen noch etwa 70 erhalten sind.

Weitere Relikte der spanischen Besatzer sind u. a. der Dom von Sassari sowie das sardische Wappen, das ursprünglich aus Aragon stammt.

Königreich Sardinien (1718 – 1847)

tancas

Die „tancas“ sind immer noch sichtbar

Nach dem Spanischen Erbfolgekrieg wurde Sardinien 1714 zunächst Österreich zugesprochen. Im Tausch gegen Sizilien ging die Insel 1718 an das Herzoghaus Savoyen, das verschiedene Ländereien auf dem Festland in Besitz hatte. Der Herzog von Piemont nannte sich nun “König von Sardinien”.
Die Piemontesen machten Italienisch zur Amtssprache und führten ein Schulsystem ein.

Den spanischen Herren auf Sardinien wurden ihre bisherigen Rechte garantiert und die Sarden mussten nun Steuern an ihre Grundherren und an den Staat abtreten. Immer wieder flackerten Aufstände auf und aus der Not heraus wurden viele zu “Banditen”.
Das Schlimmste kam jedoch, als 1820 der Sardinienminister Carlo Felice eine Bodenreform durchführte und den “Editto delle chiudende” (Erlass zu Einfriedung) verkündete. Dieses im Ansatz positiv gedachte Gesetz sollte der sardischen Landwirtschaft endlich den gewünschten Fortschritt bringen.
Jeder durfte nun die Ländereien, die er bewirtschaftete, durch Einzäunung in seinen Besitz bringen. In der Folge sicherten sich aber vor allem Feudalherren und Bauern nahezu sämtliche landwirtschaftlich nutzbaren Flächen.
Für die Hirten, die bisher das Land gleichberechtigt als Weiden genutzt hatten, war das eine Katastrophe, denn sie mussten jetzt für die Nutzung zahlen. Die wirtschaftliche Notlage führte bald zu einem Bürgerkrieg.

Noch heute wird ganz Sardinien von einem Netz niedriger Steinmauern (tancas) durchzogen. Die Nord-Südverbindung Porto TorresCagliari trägt den Namen des Initiators dieses Straßenbaus – Carlo Felice.

Sardinien wird Teil von Italien (1861 – 1948)

Lago di Coghinas

Brücke über den Lago di Coghinas

Im Jahr 1861 kam es zur nationalstaatlichen Einigung Italiens, dem “Risorgimento” (Wiederaufblühen), und Sardinien wurde Teil des jungen Landes.

Mit der gezielten wirtschaftlichen Entwicklung des italienischen Nordens auf Kosten des Südens war auch das Schicksal der Insel besiegelt. Die Wälder wurden weiter abgeholzt, die Bergwerke ausgebeutet und hohe Steuern drückten die Bevölkerung. Da sich insbesondere für die Hirten die Situation weiter verschärfte, griff das Banditentum immer mehr um sich.

Im Ersten Weltkrieg zeichneten sich die Sarden in der “Brigata Sassari” durch ihre Tapferkeit aus. Deren Veteranen gründeten 1921 die erste Sardische Aktionspartei, die sich für die Autonomie der Insel einsetzte.
Mit der Machtübernahme Mussolinis im Jahr 1922 wurde die Partei verboten. Stattdessen sollten landwirtschaftliche Großprojekte und der Ausbau der Bergwerke den Sarden eine glänzende Zukunft verheißen.
Man begann die malariaverseuchten Sümpfe trockenzulegen, errichtete erste Staudämme und stampfte neue Siedlungen aus dem Boden.

Im Zweiten Weltkrieg fielen Bomben der Alliierten vor allem auf Cagliari, das zu zwei Dritteln zerstört wurde.

Sardinien wurde 1948 schließlich eine Autonome Region der 1946 gegründeten Republik Italien.

Der italienische Staat hinterließ im 19. Jahrhundert vor allem in den großen Städten klassizistische Gebäude und Denkmäler. Beste Beispiele finden sich in Cagliari und Sassari.
Unter Mussolini baute man die typische Architektur der Faschisten, die in Carbonia und Fertilia am besten erhalten ist.

Autonome Region Sardinien (1948 – heute)

Murales in Orgosolo

Wandgemälde in Orgosolo

Durch die weitere Trockenlegung der Sümpfe in den Küstenebenen und den massiven Einsatz von DDT wurde in den 1950ern die Malaria endlich besiegt.

Mit dem vom Staat zur Verfügung gestellten Geld (“Cassa per il Mezzogiorno”) sollte der wirtschaftliche Aufschwung in den italienischen Süden und nach Sardinien kommen. Es profitierten aber nur wenige Investoren vom Festland.
Auf Sardinien wurden drei große Industriekomplexe errichtet, die fernab anderer Industriezentren nie wirklich rentabel waren. Auch die erhofften Arbeitsplätze wurden vor allem mit Fachpersonal vom Festland besetzt. Bis heute sind etwa 400.000 Sarden gezwungen, auf dem italienischen Festland oder im Ausland ihr Geld zu verdienen.

Die NATO errichtete zahlreiche Militärbasen. Zum Konflikt kam es 1969, als die Einwohner von Orgosolo passiven Widerstand gegen die Errichtung eines Truppenübungsplatzes auf ihren angestammten Weideflächen leisteten.
Ausgerechnet das berüchtigtste “Banditendorf” der Insel (mit Unterstützung aus ganz Sardinien) trug gegen die NATO den Sieg davon.

Als ab 1963 unter Führung von Aga Khan das Ferienparadies der “Costa Smeralda” gebaut wurde, läutete dies den Beginn der Tourismusindustrie auf Sardinien ein. Dabei ist es den Sarden glücklicherweise gelungen, den Bau riesiger Hotelkomplexe zu verhindern.

Die sardische Sprache wurde 1999 vom italienischen Parlament als eigenständig anerkannt. Sardisch darf nun auch in den Schulen gelehrt werden.